Smarte Wohnung liefert Daten für Quantensprung in Wohnqualität

Der Student, der vor kurzem in die komfortable Erdgeschosswohnung Halberstadtstraße 4 im Braunschweiger Stadtteil Heidberg gezogen ist, ist rund um die Uhr gut versorgt – auch wenn er dort ganz allein wohnt. Allerdings ist fest damit zu rechnen, dass gelegentlich eine Gruppe von Studenten einen neugierigen Blick in das Appartement wirft, denn hierbei handelt es sich um die erste Braunschweiger Forschungswohnung, die handfeste wissenschaftliche Erkenntnisse liefern soll.

Zu diesem Projekt haben sich die städtische Nibelungen-Wohnbau-GmbH und das Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover (PLRI) zusammengefunden. Am Montag, 7. Dezember 2015, unterzeichneten Rüdiger Warnke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Wohnbaugesellschaft, und Professor Dr. Reinhold Haux, Geschäftsführender Direktor des PLRI, einen Kooperationsvertrag.

„Wir stellen dem PLRI eine komplett und behindertengerecht eingerichtete Wohnung kostenfrei zur Verfügung und übernehmen dafür auch die Nebenkosten“, sagte Warnke. „Dafür erhalten wir aus erster Hand wichtige wissenschaftliche Ergebnisse, wie wir künftig den Wohnkomfort unserer Mieter erhöhen können. Deren Ansprüche an ein selbstbestimmtes Wohnen werden nämlich im Zug des demographischen Wandels erheblich steigen.“ Bisher habe die Nibelungen-Wohnbau-GmbH in einer Demonstationswohnung in der Hallestraße darüber informiert, welche mechanischen Hilfen das Leben behinderter Menschen erleichtern können. Jetzt gehe es um den Einsatz modernster Informationstechnologien.

„Das ist mehr als die Installation moderner Gebäudeleittechnik, die – obwohl noch recht teuer – im Fachhandel bereits erhältlich ist. Vielmehr ist es die Auswertung und die Nutzung von Daten, die einen Quantensprung für die künftige Wohnqualität bedeutet. Sie macht aus der Wohnung etwas völlig Neues – ähnlich wie sich das Mobiltelefon zum Smartphone gewandelt hat“, betonte Warnke.

Professor Haux bezeichnete die Wohnung als „diagnostischen und therapeutischen Raum“, der aufgrund der von Sensoren gesammelten Daten automatisch reagiert, indem er den Gesundheitszustand des Bewohners analysieren und falls nötig sogar unaufgefordert Hilfsmaßnahmen einleiten kann. „Viele Krankheitsbilder sind messbar, denn der Alltag von uns allen ist von Routinen geprägt, die in dieser Wohnung von Sensoren erfasst, analysiert und protokolliert werden“, beschreibt Haux den Ansatz seiner Forschungen in der Halberstadtstraße. Sensoren sammelten Daten etwa über  Bewegungsmuster, Raumtemperatur oder Luftfeuchtigkeit und werteten sie aus. Sie registrierten, wenn Fenster offen stehen oder der Fernseher benutzt wird. „Daraus lässt sich ein Assistenzsystem entwickeln, das in vielen Lebenslagen hilft, denn eine Abweichung vom üblichen Muster kann nach Erkenntnissen der Medizinischen Informatik – davon sind wir überzeugt und dies ist Gegenstand unserer Forschung – auf Krankheiten hinweisen, etwa auf Depressionen, eine Demenz oder auf asthmatische Beschwerden.“

Der Herd ist an, die Küche verlassen und das Licht ist aus – diese Datenkonstellation könne etwa ein Grund für einen Alarm sein, nennt Haux ein Beispiel. Oder ein anderes: Wenn die Sensoren melden, dass der Bewohner der Wohnung unruhig geschlafen und sich morgens nicht wie üblich geduscht hat, sei dies womöglich eine unaus­gesprochene und für einen Pflegedienst zugleich unüberhörbare Aufforderung für einen schnellen Einsatz.

„Bei alleinstehenden Menschen wird die Datenanalyse die Möglichkeiten familiärer Fürsorge erheblich ausweiten“, sagt der Wissenschaftler. Darauf könne ein engmaschiges Versorgungsnetz aufgebaut werden, in das Angehörige, Pflegedienst, Hausarzt und Klinik eingebunden sind: Alle Beteiligten hätten dann ständig Einblick, wie es dem Bewohner der smarten Wohnung  gerade geht und ob Hilfe erforderlich ist. Haux unterstreicht dabei die erforderlichen datenschutzrechtlichen Voraussetzungen: „Dieses vernetzte Modell erfordert unbedingt die Zustimmung des Wohnungsinhabers.“

„Aus der Datenanalyse lassen sich aber auch neue Dienstleistungskonzepte entwickeln, an die wir heute noch gar nicht denken“, betont der Institutsdirektor. „Die Forschungswohnung soll uns dabei helfen, die richtigen Antworten auf bestimmte Verhaltensmuster zu finden, um den Komfort der Wohnung zu verbessern und älteren Menschen länger als bisher ein aktives, selbstständiges und selbst gestaltetes Leben in der eigenen, vertrauten Wohnung zu ermöglichen.“

„Noch ist die Technik, die in dieser Wohnung installiert ist, für eine Mietwohnung zu teuer“, dämpft Rüdiger Warnke allzu großen Optimismus auf eine umfassende technische Aufrüstung des Wohnungsbestandes. Angesichts des rasant voranschreitenden technischen Fortschritts sei die Einrichtungen von smarten Wohnungen allerdings nur eine Frage der Zeit. Deshalb seien Erfahrungen, die die Nibelungen-Wohnbau-GmbH mit diesem Forschungsprojektzum Thema Bauen und Wohnen in der Zukunft sammelt, überaus wertvoll. Im Rahmen ihres Sozialmanagements habe sich die Nibelungen-Wohnbau-GmbH schon seit langem der Frage gewidmet, wie Technik selbstständiges Leben unterstützen kann, denn am demographischen Wandel zu einer älter werdenden Gesellschaft, sagt Warnke, führt kein Weg vorbei.

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